IG Metall Salzgitter-Peine
https://www.igmetall-salzgitter-peine.de/aktuelles/meldung/alternative-stadtrundfahrt-mit-dem-arbeitskreis-stadtgeschichte-ev/
25.04.2024, 16:04 Uhr

+++ Arbeitskreis Senioren+++

Alternative Stadtrundfahrt mit dem Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V.

  • 01.06.2014
  • Ina Biethan
  • Aktuelles, Senioren

Zeichen des Nationalsozialismus finden sich auch heute noch überall. Es muss nur genau hingeschaut werden. Dies taten am 22. Mai rund 40 Seniorinnen und Senioren der IG Metall Salzgitter-Peine gemeinsam mit dem Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V. im Rahmen einer Alternativen Stadtrundfahrt.

Maike Weth erläutert den Metallerinnen und Metallern die Geschichte des heute leider nur wenig gepflegten Friedhofes Westerholz

Zur Bildergalerie...

Viele originale Bauten mit der damals typischen und modernen Architektur sind heute noch erhalten und auch bewohnt. Die Barackenlager der Gründungszeit sind verschwunden, geblieben sind die Wohnungen und Häuser der damaligen Stammgefolgschaft und Parteigrößen. In den sogenannten „Abschnitten I und II“ in Lebenstedt sowie in der Ost- und West-Siedlung in SZ-Bad zeigte Maike Weth (wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitskreises Stadtgeschichte) bei einem Rundgang das Wohnen, Bauen und die Versorgung der Bevölkerung im Nationalsozialismus auf. Die Ideologie der Nationalsozialisten spiegelt sich in der Anordnung der Gebäude selbst, aber auch in äußeren Verzierungen wider. Auf der Giebelseite der Ziesbergschule in SZ-Bad finden sich heute gar noch ideologische Sprüche, die die damalige nationalsozialistische Erziehung prägten.

Um die Rüstungsproduktion zu sichern, entstanden bei kriegswichtigen Unternehmen Außenkommandos der großen KZ-Stammlager. In diesen wurden KZ-Häftlinge zur Arbeit eingesetzt, denn ohne Arbeitskraft konnte die Rüstungsproduktion nicht aufrecht erhalten werden.
Das erste ehemalige Außenlager, das die Gruppe besichtigte, war die heutige Gedenkstätte KZ Drütte auf dem Hüttengelände. Dort gab Maike Weth eine kurze Einführung in die Geschichte des KZ. Vertieft wurden die Information durch Sachtexte, Fotos und Dokumente der Dauerausstellung am Ort.

Vor 70 Jahren, Ende Mai 1944, wurden bestehende Lagerkomplexe an der Reichsstrasse 248 zum KZ-Außenlager „Watenstedt/Leinde“ umgebaut. An der B248 erinnert heute ein Gedenkstein an dieses Außenlager des KZ Neuengamme, in dem überwiegend französische Häftlinge untergebracht waren. Das Mahnmal wurde von ehemaligen französischen Häftlingen und deren Angehörigen mit langem Atem gegenüber der Stadt Salzgitter durchgesetzt.
Bei strahlend blauem Himmel und sommerhafter Wärme fröstelten die Zuhörer dennoch bei den Schilderungen. Die Senioren der IGM Salzgitter - Peine gedachten an diesem häufig übersehenden Mahnmal dem Leiden von zeitweilig 3500 Männer und Frauen aus über 20 Ländern. Sie waren gezwungen, in den nahegelegenen „Stahlwerken Braunschweig“ (heutiges Gelände von Alstom) Munition und Bomben herzustellen. Nach vorsichtigen Schätzungen starben während des knapp einjährigen Bestehens mehrere Hundert Menschen allein in diesem Lager.
Mit der Kranzniederlegung anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung des KZs, erinnerte Walter Gruber (Sprecher der IGM Senioren) an die Opfer und zollte Respekt den Überlebenden. Für viele der KZ-Häftlinge war das Leiden nicht mit dem Tag der Befreiung der Stadt Salzgitter zu Ende. Sie wurden wenige Tage vorher abtransportiert und von den Nazis in weitere KZs „verlegt“. Das Verhindern von Angriffen auf Demokratie und Menschenwürde müsse Verpflichtung für jeden Menschen sein, schloss Kollege Gruber seine Ansprache.

Auch in SZ-Bad findet sich ein Gedenkstein für das damals dort angesiedelte Außenlager, dessen Insassinnen täglich auf dem Gelände der heutigen SMAG zur Arbeit getrieben wurden. Ein unscheinbar, mit Unkraut überwucherte Parkplatz am Union - Sportplatz in Bad ist der historische Ort des letzten KZ Außenlager, den die Seniorengruppe besuchte. Ganz am Rand steht der Gedenkstein. Etwa 500 Frauen waren in vier Baracken inhaftiert. Der tägliche Weg zur Zwangsarbeit führte durch die gesamte Siedlung, vorbei an der Bevölkerung. Nichts gewusst?!

Allein in Salzgitter kamen Tausende von Zwangsdeportierten durch katastrophale Lebensbedingungen und harte Arbeit ums Leben oder wurden ermordet. Bis zur Einrichtung des „Ausländerfriedhofs“ Jammertal im Jahr 1943 fanden die Beerdigungen von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Opfern des angrenzenden „Arbeitserziehungslager 21“ ihre letzte Ruhe auf den Friedhof Westerholz in Hallendorf.
Ein fast vergessener Friedhof mit einem Gedenkstein für 857 Menschen und mit in die Erde eingelassenen Namenstafeln. „Sie sind hier gestorben ohne das Land der Eltern wiedergesehen zu haben“, sagte Jürgen Barthelt, als er die verwitterten Tafeln der auffällig vielen jungen Männer gelesen hat. Alle Besucher waren sich einig: Für diesen Friedhof fehlt eine angemessene Gestaltung und Pflege. Hier müssen unbedingt die schadhaften Stellen repariert und der Wildwuchs beseitigt werden.

Für weitere kleine Geschichten, Merkmale und Informationen über die Stadtgründung und den Aufbau der Reichswerke nutzte Maike die Busfahrt zwischen den Erinnerungsorten.

Die Gruppe stellte fest, dass über die Spuren der NS-Zeit an vielen Stellen im wörtlichen Sinn Gras gewachsen ist. Mit dem Verlust der Zeitzeugen werden die historischen Orte immer wichtiger werden, denn sie übernehmen mehr und mehr die Zeugenschaft über das unbequeme Erbe des Nationalsozialismus. Daher gilt es weiterhin, Erinnerungsarbeit zu leisten und auch die historischen Orte zu erhalten und entsprechend zu pflegen.
Die Fahrt der IG Metall Senioren endete bei Kaffee und Kuchen am ehemaligen Tagebau Haverlahwiese – ebenfalls ein geschichtsträchtiger Ort.


Drucken Drucken