Salzgitter ist die Hauptstadt der Transformation: Diesen Satz hat mal Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil geprägt. Und den haben sich die Mitglieder der IG Metall Salzgitter-Peine gemerkt. Im Informations-Zentrum der Salzgitter Flachstahl GmbH feierten sie den 75. Geburtstag ihrer Gewerkschaft. Das Motto lautete: „Wir wollen leben – stoppt die Demontage“.
Die Festlichkeiten gingen nahtlos in Warnstreik über. Denn um Punkt 0 Uhr am 30. November endete die Friedenspflicht in der Stahltarifrunde. Es war die „stahlglutrote Nacht“. Symbol und Metapher für soziale und wirtschaftliche Sicherheit für 30.000 Metallerinnen und Metaller in Salzgitter und Peine.
Als Laudatoren und Festredner waren Jürgen Peters, ehemaliger Vorsitzender der IG Metall, Horst Schmitthenner, ehemaliges geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel gekommen. Ihr Tenor: Die Geschichte des Industriestandortes Salzgitter bedingt die Geschichte der IG Metall in Salzgitter, aber: Ohne die Gewerkschaft würde es Salzgitter in dieser Form heute nicht geben.
Matthias Wilhelm, Erster Bevollmächtigter, drückte bei allem Selbstbewusstsein auch Demut aus, basierend auf den Geschehnissen der Gründungszeit.
Der April 1948 gilt als offizieller Gründungsmonat. Sinngemäß erklärte Wilhelm, dass die Frauen und Männer der ersten Stunde unter beispiellosen Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg die Grundlage für alles Folgende gelegt hätten.
Jürgen Peters richtete dann den Blick auch in jene Zeit, als es um Wiedergutmachung ging, die Demontage der Reichswerke. „Eine hochdramatische Situation und explosiv“, erklärte er. „in Salzgitter wurde die Widersprüchlichkeit der Besatzungspolitik deutlich.“ Während die britischen Besatzer auf Demontage der Anlagen beharrten, wollten die Arbeiter Widergutmachung aus der laufenden Produktion leisten. Ein Spannungsfeld, in dem die Menschen nur knapp an einer Katastrophe vorbeischrammten.
Grundaussage: „Die Demontage der Industrie ist eine Demontage der Demokratie“. Ohne soziale Sicherheit, ist sich Peters mit allen Akteuren einig, habe die Demokratie keine Chance. Die Geschichte zeigt: Nachdem die Hütte gerettet war, siedelte sich weitere Industrie an, der „Wohlstand“ zog ein.
Horst Schmitthenner oblag es über Arbeitskämpfe der Vergangenheit zu referieren, ein Kampf um den Erhalt des Standortes und der Arbeitsplätze, wie er es nannte, Kampf für Frieden, Respekt und soziale Sicherheit. „Wenn die Hütte verhökert worden wäre, hätte Salzgitter gebrannt. Das war keine leere Drohung, sondern realer Zustand.“ Und verhökert worden, wäre die Hütte zu späteren Zeiten nicht nur einmal.
In diesem Zusammenhang hob er die enorme Solidarität in der Region hervor, nämlich von Belegschaften anderer Betriebe. „Wir können stolz behaupten, dass es kein Unternehmen hier in der Region mehr geben würde, wenn es die IG Metall nicht gegeben hätte“, sagte er mit Blick auf Stahlwerk, Alstom, Volkswagen und MAN.
Hans-Jürgen Urban schlug den Bogen in die Gegenwart: Krise am Finanzmarkt, Corona, die Ukraine, Israel und Palästina: „In einer solchen Situation ist es natürlich, dass den Menschen die Orientierung verloren geht.“ Man müsse „blitzgenau“ aufpassen, dass sich nicht die mit den schnellen Antworten durchsetzen, jene, die Ausländern die Schuld geben, die meinten, es sei „besser“ sie im Mittelmeer ersaufen zu lassen.“ Klare Worte gegen Rechts als Basis für den weiteren Kampf um die Demokratie, einhergehend mit dem Kampf um Arbeitsplätze.