Gut ein halbes Jahr ist es her, dass der Alstom-Konzern die Bahnsparte von Bombardier übernommen hat. Mit der Fusion bieten sich große Chancen. Diese aber werden sich nicht von alleine verwirklichen. Investitionen in die Standorte und die Qualifikation der Beschäftigten sind dringend geboten.
Natürlich, sagt René Straube, natürlich bieten sich jetzt große Chancen: Zwei Unternehmen, die sich zusammentun, ein Zusammenschluss, der Kraft bündeln und Innovationen möglich machen kann. „Die Fusion von Alstom und Bombardier kann uns Rückenwind geben.“ Allerdings, und das ist dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Bombardier Deutschland wichtig, würden sich diese Chancen nicht von alleine verwirklichen. „Wir müssen jetzt ganz genau hinschauen, auf jeden Standort, auf jede Entscheidung des Managements und dafür sorgen, dass es mit dem Unternehmen nach vorne geht.“
Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und als geschäftsführendes Vorstandsmitglied auch zuständig für die Bahnindustrie lässt dabei die Politik nicht aus der Verantwortung: „Wir unterstützen als IG Metall die Konsolidierung und eine Neustrukturierung der Bahnindustrie in Europa. Die Übernahme von Bombardiers Bahnsparte durch Alstom wird sich auch auf Zulieferer auswirken. Klimaschutz und moderne Mobilität brauchen eine starke deutsche und europäische Bahnindustrie. Wir erwarten von der Bundes- und Länderebene eine industriepolitische Flankierung und Förderung. Wir fordern Standort-und Beschäftigungssicherung für die Branche. Völlig unakzeptabel ist es, dass mit Steuergeldern finanzierte Aufträge im Bahnbereich nicht mit einer Verpflichtung an lokale Fertigungsanteile verknüpft werden. Das ist in vielen europäischen Ländern undenkbar.“
Gut ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass der französische Alstom-Konzern, der in Deutschland zwei Werke unterhält, für rund fünf Milliarden Euro die Bahnsparte des kanadischen Unternehmen Bombardier übernommen hat. Mit der Fusion ist Alstom nun, nach der China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC), dem größten Schienenfahrzeughersteller der Welt, zum zweitgrößten Bahnhersteller aufgestiegen. Insgesamt hat Alstom weltweit 25 Fertigungs- und Entwicklungsstandorte von Bombardier übernommen.
In den vergangenen Monaten hat die IG Metall zusammen mit den betrieblichen Kolleginnen und Kollegen einen Strukturtarifvertrag verhandelt, der sicherstellt, dass die Arbeitnehmerseite nun mit einem gemeinsamen Gesamtbetriebsrat (GBR) für alle Beschäftigte handlungsfähig ist. „Der Tarifvertrag ist die rechtliche Grundlage für den neuen GBR, der so ab September 2021 für alle Beschäftigten in Deutschland die Vertretung übernimmt“, sagt Jochen Homburg, der Verhandlungsführer der IG Metall. Besonders wichtig sei neben der konzernübergreifenden Möglichkeit sich zu organisieren, die nach Gesetzeslage nicht möglich gewesen wäre, auch die Chance mit dem nochmal stärker mit Personal besetzten GBR-Büro mehr politische Arbeit machen zu können. Wichtig darüber hinaus sei, gerade in der angespannten Situation, einen Wirtschaftsausschuss über alle Konzernteile etabliert zu haben. „Ich war beeindruckt von der konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Kolleginnen und Kollegen. Nur so konnten wir gemeinsam so schnell zu einem guten Ergebnis kommen.“, sagt Jochen Homburg.
Die Regelung gilt für alle deutschen Standorte. In Deutschland unterhält der neue Branchenriese zwölf Standorte – ein Alstom-Werk in Salzgitter und eines in Stendal sowie zehn ehemalige Bombardier-Standorte.
Aus einem dieser Bombardier-Standorte, aus Görlitz, kommt René Straube. Anfang der 1980er Jahre kam er als angehender Maschinen- und Anlagenmonteur zum „VEB Waggonbau Görlitz“, wie das Werk damals hieß, und arbeitete danach zunächst in der Teilefertigung. Am Standort, erzählt Straube, bauten sie vor allem Doppelstockwagen für die Deutsche Reichsbahn der DDR und die Mitgliedsländer im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“, einer Organisation der sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion; produziert wurden dazu Weitstreckenwagen für die damalige Sowjetunion. Darüber hinaus, erzählt Straube, gab es viele große Projekte, der Bau eines Regierungszugs für China beispielsweise oder aber Züge für Syrien und Uganda „Wir waren ein traditionsreiches Werk, wir waren stolz, in Görlitz zu arbeiten und mit unserer Arbeit dazu beizutragen, die Erfolgsgeschichte des Standorts auszubauen“, sagt Straube.
Diese Erfolgsgeschichte ging auch nach der Wende weiter. Sie hielt in den neunziger Jahren weiter an, vor allem, weil die Deutsche Bahn Großaufträge zur Produktion von Doppelstockwagen nach Görlitz vergab – und sie war auch noch da, als die Treuhand 1996 das Werk zuerst an ein amerikanisches Investmenthaus und in der Folge 1998 schließlich an die kanadische Bombardier verkaufte, die ihren Aufstieg mit dem Bau von Flugzeugen begründet hatte. „Vor allem in den Anfangsjahren unter der Bombardier-Führung lief es rund“, sagt Straube. Dann aber kamen die Probleme. Viel zu wenig sei an neuen Technologien geforscht, viel zu wenig in die deutschen Standorte investiert worden. Das betraf nicht nur das Görlitzer-Werk massiv, sondern auch die Werke zum Beispiel in Hennigsdorf oder den Waggonbaustandort in Bautzen. „Die Übernahme von Alstom, das war ein Schritt, den wir alle begrüßt haben, ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt René Straube. „Jetzt müssen wir weitere Schritte in die richtige Richtung gehen. Es ist viel zu tun, wir sind noch lange nicht am Ziel.“
Wie die Schritte in die richtige Richtung aussehen könnten? „Das ist gar nicht kompliziert, aber es braucht Entschlossenheit“, sagt Straube. Betriebsräte und IG Metall fordern vom Unternehmen deshalb eine klare Zukunftsstrategie: Jeder Standort muss eine Perspektive und belastbare Position innerhalb der Wertschöpfungskette zugeordnet bekommen. Dafür muss verlässliche Verbindlichkeit bestehen, etwa bei Marktzugängen, Produktzuweisungen und definierten Produktionsvolumina. „Das ist elementar wichtig“, sagt Renè Straube.
Wie effektiv, wie effizient Klimaschutz aussehen kann, lässt sich beim Alstom-Werk in Salzgitter besichtigen. Hier bauen sie einen Zug, der erstmals einen emissionsfreien Schienenverkehr auf Strecken ohne Oberleitung ermöglicht. Durch die Umwandlung von Wasserstoff in elektrische Energie mittels Brennstoffzelle stößt der Zug keine CO2-Emissionen mehr aus. „Diese Technik ist wegweisend. Sie ist praxistauglich und sie ist einsatzbereit“, sagt Stefan Lüer, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende am Standort. Bereits zwei Verträge für die Lieferung von Wasserstoffzügen hat Alstom gewonnen. Insgesamt sollen in den kommenden Monaten 41 Züge am Standort in Salzgitter gebaut werden.